Zum Nostalgietag am 16.11.: NSU-Legende Dieter Dollmann im Interview
Wir feiern am kommenden Samstag, den 16.11.19 den WFV-Pokaltriumph der Sportvereinigung Neckarsulm vor 50 Jahren im Rahmen eines Nostalgie-Tages auf dem Pichterich. Im Juni 1969 bezwang unser Vorgängerverein die Amateure des SSV Reutlingen im Heilbronner Frankenstadion nach einer dramatischen Final-Begegnung mit 4:2 nach Verlängerung. Wir konnten mit Dieter Dollmann, einem der damaligen Neckarsulmer Fußballhelden über die Triumphe des Jahres 1969, aber auch über seine spätere Karriere bei den Stuttgarter Kickers sprechen:
Herr Dollmann, was kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie an das WFV-Pokalfinale Finale vor 50 Jahren denken?
D. D.: Zunächst haben wir uns riesig gefreut, dass wir dieses Endspiel überhaupt erreicht haben, nachdem die Hürden der vorangegangenen Qualifikationsspiele überwunden wurden.
In der Tat. Sie haben im Lauf des Wettbewerbs gleich mehrere höherklassige Teams eliminieren müssen.
D. D.: Umso höher ist unsere Leistung einzuschätzen. Im Nachhinein muss ich sagen, das Finale hätte mehr als die anwesenden 1.500 Zuschauer verdient gehabt, es war ein mitreißendes und packendes Spiel. Bei uns im Team herrschte ein großer Sieges-Wille, der bekanntlich Berge versetzt, und uns damit in der Verlängerung zum Erfolg führte. Die Begeisterung war riesig.
In der aktuellen Zeit geben viele Teams den Gewinn des WFV-Pokals als Saisonziel aus. Welche Wertigkeit hatte der WFV-Pokal im Jahr 1969?
D. D.: Er besaß dieselbe Wertigkeit wie heutzutage. Denn schon damals war der Gewinner zur Teilnahme am DFB-Pokal berechtigt, mit der sportlichen Chance auf einen interessanten Gegner zu stoßen und damit auch höhere TV-Einnahmen zu generieren. Das war auch bei uns so, wir haben in der Folge in der 1. Runde gegen die Lizenzspielermannschaft des SSV Reutlingen gewonnen, mussten dann aber in der 2. Runde gegen die Stuttgarter Kickers die Segel streichen.
Also ausgerechnet gegen den Verein, der später 20 Jahre lang als Spieler und Manager Ihre sportliche Heimat werden sollte. Sind Sie denn den Kickers ausgerechnet in diesem Spiel aufgefallen?
D. D.: Ja – es kam hinzu, aber es bestand schon vorher Kontakt. Ich wurde zu einem Probetraining eingeladen. Ärgerlicherweise stand ich an diesem Tag im Stau und bin ausgerechnet bei dieser Aktion eine halbe Stunde zu spät erschienen. Der damalige Kickers-Trainer Gerd Menne war „not amused“ und liess mich Verteidiger spielen. Da ich eher Stürmer war, kamen wir leider nicht zusammen. Zwei Jahre später, ich spielte zu dieser Zeit bei 07 Ludwigsburg, wurde ich dann für die Kickers wesentlich teurer, aber doch noch ein „Blauer“.
Lassen Sie uns zurück zum Pokalfinale Neckarsulm gegen Reutlingen kommen. Sie führten bereits 2:0, doch der SSV schaffte den Ausgleich. In der Verlängerung entschied dann ein Geistesblitz von Ihnen die Begegnung zugunsten unserer Neckarsulmer. Ist das so korrekt?
D. D.: Ja, da kann ich mich noch ganz gut daran erinnern. Das Zusammenspiel mit unserem Torjäger Horst Graf funktionierte bestens. Wir erhielten in der 102. Minute einen Freistoß an der Strafraumgrenze. Reutlingen war dabei eine Mauer zu bilden. Mit Blickkontakt zu Horst habe ich den Ball ohne zu warten durch eine Lücke zu ihm gepasst und er hat die Chance toll verwandelt. Damit gingen wir in der Verlängerung in Führung, was bei den sommerlichen Temperaturen sicher von Vorteil war und konnten den Vorsprung noch ausbauen. Der Sieg war perfekt.
Der bekannte Unterländer Journalist Siegfried Schilling schrieb damals „Was Gerd Müller für den FC Bayern ist, das ist Horst Graf für Neckarsulm.“ Hatte er recht?
D. D.: Das war damals gut erkannt. Horst Graf war ein Erfolgsgarant für uns. Er hat die Tore vorne einfach gemacht, was dazu führte, dass er kurz danach zu 07 Ludwigsburg in die Regionalliga wechselte, wo wir dann gemeinsam weitere erfolgreiche Zeiten erlebten.
Der Neckarsulmer Trainer Mölls war damals gerade einmal 28 Jahre alt, quasi der Julian Nagelsmann des Unterlandes. Wie war die Zusammenarbeit mit solch einem jungen Trainer?
D. D.: Zunächst möchte ich anmerken, dass ein hoher Anteil an den Erfolgen im Jahr 1969 Dietrich Weise zukommt, er hat eine hervorragende Aufbauarbeit im Verein geleistet und die Grundlagen für unsere Triumphe gelegt. Was den Vergleich mit Julian Nagelsmann angeht tue ich mir sehr schwer, da -außer dem jungen Alter- ich keine übereinstimmende Eigenschaften erkennen kann. Jedenfalls hatten wir eine Mannschaft die kameradschaftlich zusammengepasst hat und mit hoher Eigenmotivation ausgestattet war. Trainer Mölls hat uns ruhig und besonnen geführt, aber die Mannschaft war damals schon so weit, selbst zu reagieren, wenn es sein musste und hatte außerdem eine vorbildliche und ausgeglichene Charakterstruktur. Im Übrigen möchte ich bemerken, dass der Kontakt zu Dietrich Weise seit Neckarsulm über all die Jahre in denen wir uns auf der Fußballbühne wieder begegnet sind bis heute angehalten hat.
Wenn man die Mannschaft von 1969 charakterisiert, kann man von einer goldenen Neckarsulmer Generation sprechen?
D. D.: Das ist nicht leicht zu beantworten, da die Mannschaft aus einem Mix mehrerer Jahrgänge bestand. Auf die ehemalige A-Jugend bezogen trifft dies in jedem Fall zu. Die Jugendarbeit in Neckarsulm war damals einfach hervorragend und war damit das Fundament für diese Erfolge. Wir haben uns im Verein sehr wohl gefühlt, die Mannschaft hatte zudem einen tollen Zusammenhalt. Es hat mich sehr gefreut , ein Teil davon zu sein. Damit erklärt sich auch das regelmäßige Jahres- Treffen der ehemaligen Sportkameraden.
Als Lohn für die sportlichen Erfolge gab es eine Reise nach Jugoslawien mit sieben Prinz 1000-Fahrzeuge der Firma NSU.
D. D.: Wir waren zweimal in Jugoslawien. Das erste Mal 1967 und dann eben 1969. Es war zum einen eine unvergessliche Reise, weil wir mit dem Erfolg im Gepäck und einer in sich gewachsenen Mannschaft unterwegs waren; zum anderen, weil wir zahlreiche neue Eindrücke gewinnen konnten. Es waren nicht nur die länderübergreifenden, sondern auch die sportlichen und vor allem menschlichen Erfahrungen, die diese Reise für uns so besonders gemacht haben. Die Gastfreundschaft war wirklich fantastisch und nicht zu überbieten. Schön war auch, dass mit Milan Bajic und Vjucislav Gluhovic zwei Spieler unseres jugoslawischen Gegners später für die Sportvereinigung Neckarsulm aufgelaufen sind. Die Reise war unter den damaligen Ost/West- Verhältnissen schon ein spezielles Erlebnis, wenngleich sie auf der Heimreise eine Schrecksekunde für uns bereitgehalten hat…
Inwiefern?
D. D.: Auf der Rückreise wurde der Belag dieser berüchtigten Küstenstraße durch die Meeres-Gischt spiegelglatt. Obwohl wir schon sehr vorsichtig gefahren sind, hat sich ein Fahrzeug unserer Kolonne in einer engen Kurve komplett gedreht und ist mit der Hinterachse gegen einen Begrenzungsstein geprallt. Das hat einen 15 Meter hohen Absturz zum Meer verhindert. Da hatten wir wirklich großes Glück, was uns zahlreiche verunglückte Fahrzeuge neben der Strecke bewusst machte.
Wie ging es dann weiter?
D. D.: Wir wollten das Fahrzeug natürlich wieder mit nach Deutschland bringen. Nun passierte der Unfall leider an einem Sonntag. Der Inhaber der örtlichen Werkstatt war nicht verfügbar, er war bei einem Fest auf dem Land. Also machte sich ein Auto mit ortskundiger Begleitung auf den Weg. Obwohl zuletzt weder Straßen noch Feldwege dorthin führten, wurde der Hof gefunden. Eine Großfamilie war gerade dabei den Sonntags-Hammelbraten mit entsprechenden Getränken aufzutischen. Sofort wurde uns angeboten, dort mitzuessen, bevor es zurück geht. Diese Herzlichkeit hat uns wirklich beeindruckt. Nach dem Essen hat der Werkstattinhaber dafür gesorgt, dass die Achse repariert wurde und wir weiterfahren konnten.
Kommen wir zurück zum Sportlichen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, weil wir selbst erst vor kurzem gegen den Göppinger SV gespielt haben. Herr Dollmann, Sie haben 1969 gegen den GSV die rote Karte gesehen.
D. D.: Ja, das ist leider richtig. Das war der einzige Platzverweis meiner gesamten Spieler-Karriere. Mein Gegenspieler war damals Willi Hoffmann, der später bei Bayern München spielte. Ich habe ihn in der besagten Szene bei einem Zweikampf attackiert, dann wieder attackiert und nochmals, bis der Schiedsrichter gepfiffen hat. Der Unparteiische sagte dann zu mir, er hätte schon zuvor zweimal gepfiffen. Willi und ich hatten das jedoch nicht gehört und einfach weitergespielt. Es war wie gesagt mein einziger Platzverweis, der mir aber eine lange Sperre von sechs Wochen einbrachte.
In der Presse war zu lesen, Sie haben damals eine Siegprämie von 40 bis 50 Euro erhalten. Wenn man das mit heute vergleicht…
D.D.: Der Sport, vor allem der Fußball, hat sich in diesem Bezug extrem gewandelt. Und diejenigen, die das das Rad ins Rollen brachten, die Weltmeister von 1954 sowie die nachfolgenden Generationen haben davon auch noch nicht profitiert. Die finanzielle Wertsteigerung im Fußball seitdem ist enorm, hat sich in den 80er Jahren durch das Fernsehen sogar multipliziert. Doch man sollte die heutige Situation durchaus mit Bedacht sehen. Denn gerade im Amateurfußball gibt es viele Beispiele von Vereinen, die mit ihrem Budget nicht auskommen. Eigentlich ist es nur das Aushängeschild „ Bundesliga“, wo es um die großen Summen geht. Für meine Begriffe ist die Diskrepanz zwischen Sport und Kommerz sowie Profi und Amateur enorm gewachsen und riskant hoch.
Sie waren später als Manager der Stuttgarter Kickers in der großen Fußballwelt zu Hause, haben zwei Bundesliga-Aufstiege mit den Blauen gefeiert und den Einzug ins DFB-Pokalfinale. Sie hatten dabei mit Stars wie Guido Buchwald, Jürgen Klinsmann, Fredi Bobic, Thomas Tuchel oder Christian Streich zu tun. Wie fühlt sich diese Welt an?
D. D.: Wenn man Teil dieser Welt ist gibt es keine Unterschiede zum normalen Alltagsleben. Mit Guido und Jürgen habe ich noch aktiv bei den Kickers gespielt. Fredi, Thomas und Christian habe ich als damalige Fußballtalente bei den Kickers verpflichtet. Unabhängig von der sportlichen Entwicklung und den Erfolgen haben alle ein außerordentlich hohes Maß an Eigenmotivation mitgebracht für den Fußballsport. Dies war neben den Charaktereigenschaften ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl und Integration in ein Team. Darauf haben wir großen Wert gelegt. Deshalb könnte ich die Liste ohne Probleme erweitern, da sie auch Grundlage für die angesprochenen Erfolge waren. Insgesamt hat mir der Fußball durch die verschiedenen Funktionen (Anmerkung der Redaktion: 7 Jahre Sportgerichtsbeisitzer als aktiver Profi, 12 Jahre Vizepräsident Stuttgarter Kicker 1. + 2 Bundesliga sowie Manager, 4 Jahre Geschäftsführer Waldhof Mannheim, Vorstand – und Aufsichtsratsmitglied bei DFB und DFL, Mitarbeit im OK zur WM 2006) alle Kontakte gegeben. Die Verbindungen sind vielseitig und der Umgang miteinander ist von Respekt und Herzlichkeit geprägt. Dies gilt auch für die Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
Apropos Presse: Hier ein paar Zitate, die man über Sie geschrieben hat. Man bezeichnete Sie als „der Grandseigneur in kurzen Hosen“ oder „der erste Fußballprofi, der mit Sporthose mit Bügelfalte spielte.“ Das Magazin 11 Freunde bezeichnete Sie als Manager gar als eine Mischung aus CIA-Agent und Hollywood-Agent. Können Sie mit diesen Bezeichnungen leben?
D. D.: Man muss natürlich immer auch die Zusammenhänge sehen, wie so etwas zustande kommt. Ich hatte schon als Spieler mit 27 Jahren ziemlich graue Haare, durch mein Erscheinungsbild entstanden dann eben solche Bezeichnungen wie Grandseigneur. Bei einem Spiel in Saarbrücken waren es “Opa-Opa”-Rufe, die nach einem Tor von mir schnell verstummten. Nach einem Kickers-Spiel konfrontierte mich der ehemalige SWR-Sportkommentator Klaus Kaiser bei einem Radio-Interview damit, dass man mich, wenn man mich so sehe, weniger dem Fußballsport zuordnen würde, sondern eher der Reiterei. Das läge wohl an meiner Ausstrahlung, habe ich ihm geantwortet, wir mussten dann beide herzlich lachen. Er war es auch der zum Ausdruck brachte: „Live-Übertragungen mit den Kickers sind mir am liebsten“ weil, egal wie viele Spieler in einer Traube zusammenhängen, erkennt er einen, nämlich Dieter Dollmann mit den grauen Haaren. Da fällt mir noch eine lustige Geschichte von dem Journalisten Oskar Beck ein.
Wir sind gespannt…
D. D.: … unter dem Motto: Wussten sie eigentlich…: “… dass der Manager Dieter Dollmann viel von Kundendienst hält?” Nach einer Begegnung, zu der wieder einmal nur 4000 Zuschauer gekommen waren, fragte ihn ein Fan mich nach dem Termin des nächsten Heimspiels. Darauf antwortete ich höflich, wenngleich mit einer Portion Sarkasmus: „Wann hätten Sie denn Zeit?” Diese Geschichte hat Oskar Beck mit öfters erzählt, wenn wir uns getroffen haben.
Noch eine etwas gemeine Frage: Wenn Ihnen vor 15 Jahren jemand gesagt hätte, dass ihr beiden ehemaligen Vereine, die Neckarsulmer Sport-Union und die Stuttgarter Kickers in einer Liga spielen würden, was hätten Sie gedacht?
D. D.: Nicht vorstellbar!! Ich freue mich einerseits wirklich sehr für Neckarsulm, denn die Sport-Union kann ja nichts dafür, dass es bei den Kickers seit einiger Zeit nicht so läuft. Es ist nicht nur traurig sondern ausgesprochen ärgerlich, dass die Kickers regelrecht abgestürzt sind. Begründen will ich es nur mit der Floskel: Leider ist es wie im wahren Leben: Ein ständiges Auf und Ab – den einen trifft es weniger, den anderen mehr. Allgemein ist zu beobachten, dass zahlreiche Traditionsvereine ihre Probleme haben, siehe z.B. Kaiserslautern, Wattenscheid etc.
Samstag in einer Woche spielen wir auf der Waldau bei den Kickers. Dürfen wir Sie fragen, wem Sie dann die Daumen drücken?
D. D.: Zum Glück habe ich ja zwei Daumen (lacht). Natürlich finde ich es toll, was sich in Neckarsulm entwickelt hat und die Kickers holen ihre Punkte hoffentlich in anderen Begegnungen.
Herzlichen Dank Herr Dollmann, für dieses Interview. wir freuen uns auf Ihr Kommen am Samstag.